Leseprobe Gefrorenes Leben
Aber weshalb erzähle ich das alles? Denn jetzt, im Juni des Jahres 1990, war Habakuk tot. Ein hochbetagter 90-Jähriger war tot. „Das ist doch nichts Besonderes”, werden Sie sagen. „Mit 90 stirbt man eben.” Da haben Sie Recht. Habakuk aber, der 90-jährige Greis, war nicht einfach gestorben, er war ermordet worden. „Mit einem aufgesetzten Schuss in die Stirn”, wie Kriminalhauptkommissarin Steinmann mit leicht bayerischem Akzent feststellte. Sie war der Liebe wegen aus München nach Münster gezogen, hatte sich an Töttchen und Pfefferpotthast gewöhnt, war Mutter zweier nunmehr pubertierender Töchter geworden, ihres Mannes jedoch war sie verlustig. Zu ihrem Entsetzen hatte dieser sich mit einer Älteren verabschiedet. Die Frage, die Frau Hauptkommissarin Steinmann zu beantworten hatte, war: „Wer ermordet einen 90- Jährigen? Kann es für so eine Tat überhaupt einen Grund geben?” Aber niemand ermordet einen anderen ohne Grund. Höchstens ein Verrückter. Nun ist das Münsterland von alters her bekannt für Menschen mit dem zweiten Gesicht, für Spökenkieker und allerlei verschrobene Gestalten. Aber einen Lustmörder, der es auf 90-Jährige abgesehen hat, so etwas gab es nicht einmal hier. Und dann einen Photographen umzubringen, bei dem nichts zu holen war! Völliger Wahnsinn! Habakuk lag vor seiner Tür zum Garten, lang ausgestreckt auf der Terrasse, die Tür stand offen. Ein älteres Ehepaar, das dort zufällig spazieren ging, hatte die Tür klappern gehört und war zunächst neugierig, dann geschockt. Schließlich sieht man ja nicht alle Tage einen leibhaftigen Toten, dazu noch einen Ermordeten. Die bundesrepublikanische Bevölkerung ist natürlich durch lehrreiche Sendungen wie „Tatort” bestens informiert, wie man sich in so einem Fall zu verhalten hat: 110 wählen und warten. Gut, dass das ältere Ehepaar eines dieser neuen, nur 500 Gramm schweren Handys besaß, sonst wäre das Ganze schwierig geworden. Das Ehepaar wartete, Kriminalhauptkommissarin Steinmann erschien nur wenige Minuten später in Begleitung ihres Assistenten Heiner Pankok. „Kommt Schimanski auch noch?”, wollte die Frau wissen. „Der löst doch immer solche Fälle.” „Elfriede, du guckst zu viel fern”, belehrte ihr Mann sie. „Schimanski gibt es doch gar nicht.” „Natürlich gibt es Schimanski, ich habe ihn schon ein paar Mal gesehen”, entgegnete seine Frau. Die Kommissarin verdrehte die Augen, der Assistent bekam unversehens einen Schluckauf. Frau Steinmann beendete das sich anbahnende Ehedrama, indem sie sagte: „Es wäre nett, wenn Sie Herrn Pankok Ihren Namen und Ihre Adresse mitteilen würden, damit wir Sie zur Not erreichen können. Außerdem sollten Sie ihm kurz schildern, wie Sie die Leiche gefunden haben. Wichtig fürs Protokoll!” „Schimanski macht nie ein Protokoll”, schob die Frau noch ein. Damit verließ Frau Steinmann ihren Assistenten und das Ehepaar und betrat das Haus. Sie stand vor einem Chaos, wie sie es noch nie gesehen hatte. Alles war durchwühlt, das Unterste nach oben gekehrt und umgekehrt. Vielleicht ein Raubmord? Aber was war hier zu holen? Bevor sie ihren Gedanken weiter verfolgen konnte, erschien ihr Assistent: „Der Mann glaubt jetzt auch, dass wir Schimanski heranziehen sollten.” „Spinnen die beiden?” „Nein, die haben zu viele Krimis gesehen!” „Gleich wird wohl die Presse hier auftauchen”, sagte Steinmann. „Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.” „Die Presse kommt nicht”, entgegnete Pankok. „Ich habe das Ehepaar gebeten, zu niemandem einen Ton zu sagen. Schimanski wolle sich zuerst ein eigenes Bild machen, bevor die Presse die Spuren zertritt.” „Pankok, Sie sind ein ...!” „Ein Genie, sagen Sie es ruhig!” Dann sah auch er sich um: „Donnerwetter! Hier hat sich jemand sehr geschmackvoll und sehr teuer eingerichtet. Das hätte ich bei einem Photographen nicht erwartet. Der alte Habakuk Puhvogel scheint doch Geld besessen zu haben.” „Der Meinung bin ich auch. Und was den Geschmack betrifft, da stimme ich ebenfalls mit Ihnen überein.” „Aber hier hat jemand eine Intensivsuche betrieben.” „Also doch ein Raubmord?”, fragte Steinmann. „Glaube ich nicht”, erwiderte Pankok. „Sehen Sie mal hier im Regal! Da steht eine Münzsammlung. Die hätte jeder Räuber doch wohl mitgehen lassen. Bei einem Raubmord wäre die verschwunden. So blind kann man gar nicht sein.” Er trat näher ans Regal und untersuchte die Alben: „Sehen Sie mal hier! Eins, zwei, drei, vier Alben. Alle voll mit Münzen. Nur Silber und Gold.” Dann war es eine Zeit lang ruhig. Schließlich fuhr er fort: „50 südafrikanische Krügerrand. Das ist ein Vermögen. Soviel verdiene ich im ganzen Jahr nicht. Sie übrigens auch nicht.” „Kennen Sie sich mit Münzen aus?” „Jein. Der Krügerrand ist allerdings eine allgemein bekannte Münze, die man bei jeder Bank kaufen kann. Also nichts Geheimnisvolles. Aber diese Münzen hier, vorne im Album, das sind Sammlerstücke. Vom Silbergehalt eigentlich ein geringer Wert. Das hier ist zum Beispiel eine altgriechische Tetra-Drachme. In diesem exzellenten Zustand kommen Sie mit einem Tausender nicht aus, wenn Sie sie kaufen wollen. Davon hatte er ein Dutzend. So etwas bewahrt man in einer Bank im Tresor auf, nicht zu Hause in einem Bücherregal. Was hier steht, geht in die Hunderttausende.” Kriminalhauptkommissarin Steinmann staunte. Soviel Wissen hatte sie von ihrem Assistenten nicht erwartet. Bis jetzt war er mehr als Dolmetscher zwischen gezügelter westfälischer Mundart und einem gemäßigten bayrischen Sprachverständnis in Erscheinung getreten. „Gut, Pankok, gut! Wenn Sie so weitermachen, nehmen Sie bald meine Position ein.” „Ach, lassen Sie mal. Das will ich gar nicht. Es gibt Wichtigeres zu tun.” „Richtig! Wir sollten die SPUSI hierhin beordern und den armen Habakuk in die Gerichtsmedizin bringen lassen.” „Und was ist mit Schimanski?” „Jetzt reicht’s aber wirklich! Woher haben Sie eigentlich ihre Kenntnisse über Münzen?” „Mein Vater war ein großer Sammler vor dem Herrn. Der hat alles gesammelt, was ihm vor die Füße, besser vor die Hände kam. Ganz zum Leidwesen meiner Mutter, die ihn irgendwann vor die Entscheidung gestellt hat, sich für eine einzige Art von Sammelgegenständen zu entscheiden. Andernfalls würde sie ausziehen. Er hat meine Mutter und die Münzen gewählt. Das ganze Zeug habe ich nun geerbt. Die minderwertigen Münzen habe ich verramscht, den Rest fein säuberlich in ebensolchen Alben gehortet.” „Dann sind Sie eine gute Partie?” „Machen Sie mir einen Heiratsantrag und ich verrate ihnen, was ich besitze.” „Pankok”, entgegnete sie sehr gedehnt, „wir sollten jetzt lieber mit dem Denken beginnen. So ein Fall löst sich nicht von alleine.” „Aber ich bin doch schon am Denken dran”, entgegnete ihr Assistent. „Was ist denn das für eine Zeitform?”, fragte sie ihn. „Westfälisches Gerundium. Daran müssen Sie sich gewöhnen, so redet hier jeder und ich als Eingeborener auch.” „Wirklich jeder?” „Zugereiste und sonstige nicht hier Geborene natürlich nicht.” „Und jetzt?”, fragte Steinmann. Pankok und Steinmann traten vor die Tür und Pankok zeigte auf einen Bauernhof, der etwa 200 Meter entfernt lag und von dem man noch so eben das Dach erkennen konnte. „Schulze Guntrup”, sagte er. „Der einzige Nachbar. Es kann sein, dass der etwas gehört hat.” Sie hatten Pech, denn der Bauer war auf einem Acker beschäftigt gewesen, der fast einen Kilometer vom Tatort entfernt war. Natürlich hatte er nichts gehört. Sie standen vor ihrer letzten Hoffnung, der Kreissparkasse. „Was, Habakuk ist tot? Stand ja noch gar nicht in der Zeitung. Ein großer Verlust!”, sagte der Direktor. „Wieso ein großer Verlust?”, fragte Steinmann. „Fragen Sie mal unseren großen Kunstvorsitzenden. Der kann Ihnen mehr erzählen.” „Aber hatte Herr Puhvogel bei Ihnen ein Konto?” „Selbstverständlich hatte er bei uns ein Konto”, erwiderte der Direktor. „Sie waren unsere letzte Hoffnung”, sagte Lena Steinmann. „Wir waren schon am Verzweifeln. Alle kannten Habakuk Puhvogel, aber er hatte bei keiner der anderen Banken ein Konto. Wir bräuchten jetzt einmal alle Kontounterlagen, damit wir uns ein Bild über seine finanzielle Situation machen können.” „Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, hole ich die Unterlagen.” Er entfernte sich und drei Minuten später erschien seine Sekretärin mit Kaffee und Gebäck, weitere drei Minuten später der Direktor mit den Unterlagen. „Sehen Sie hier!”, begann er. „Auf dem Konto hat er zurzeit etwas über 3.000 DM.” „Woher kommt dieses Geld?”, fragte Steinmann. „Jeden Monat bekam er 1.500 DM aus der Alterskasse für Künstler. Das ist ungewöhnlich viel. Er muss eine Menge eingezahlt haben, denn ich kenne hier noch einen Künstler, der keine 700 DM erhält.” „Hatte er sonst noch Bezugsquellen?”, fragte Pankok. „Das kann man wohl sagen. Es gibt da in Münster eine kleine, aber sehr feine Privatbank. Von dort bekam er in unregelmäßigen Abständen Überweisungen.” „Hohe?”, fragte Pankok. „Das kann man wohl sagen”, erwiderte der Direktor. „Mal 5.000, mal 10.000, einmal, daran erinnere ich mich ganz genau, sogar 30.000 DM. Habakuk war wohlhabend, sehr wohlhabend.” „Das wusste aber keiner hier”, schob Pankok ein. „Das war ja auch ein Bankgeheimnis”, klärte der Direktor auf. „Woher kam denn das ganze Geld?”, wollte Steinmann wissen. „Das weiß ich nicht, da müssten Sie schon nach Münster fahren in diese...” „…kleine, aber feine Privatbank”, ergänzte Pankok. „Genau. Aber zunächst sollten Sie unseren großen Kunstversteher aufsuchen. Der kann Ihnen bestimmt mehr erzählen. Alles, was ich weiß, habe ich Ihnen gesagt.” Steinmann und Pankok verließen die Sparkasse und glaubten, etwas klüger geworden zu sein. „Wir müssen also jetzt den großen Kunstzampano aufsuchen und dann zur kleinen, aber feinen Privatbank nach Münster”, erklärte die Kriminalhauptkommissarin. „Sehen Sie mal auf die Uhr!”, sagte Pankok. „St. Martinus sagt: Es ist 12 Uhr. Mittagszeit also und da können wir den großen Kunstkenner nicht stören. Wir sollten den Besuch etwas verschieben, so bis 14 Uhr, wegen des Mittagsschlafs. Und bei der Bank sollten wir vorher anrufen. Dort müssten wir schon mit dem Chef sprechen und der sollte anwesend sein, wenn wir kommen. Ich ruf‘ da heute Nachmittag mal an. Und jetzt sollten wir etwas essen, damit der Magen nicht so durchhängt. Was halten Sie von Curry- Wurst mit Pommes frites?” „Wo denn?” „Zwei Minuten von hier. Ach was, 30 Sekunden nur. Bei Herbert.” „Da war ich noch nie, doch den Namen kenne ich von meinen Töchtern. Die sind immer begeistert davon.” „Mit Recht! Dort gibt es die beste Curry-Wurst westlich des Urals und östlich von Lissabon.” „Jetzt übertreiben Sie!” „Überhaupt nicht! Herbert ist Kult. Während der Fußballweltmeisterschaft verkaufte der Typ 1.000 Curry- Würste pro Nacht. Da kommen Jugendliche aus Münster, Telgte, Ibbenbüren, selbst einige aus Emsdetten.” Noch 100 Meter und Pankok bestellte zweimal Curry-Wurst mit Pommes frites. „Mann, Heiner”, begrüßte ihn Pommes-Herbert, „endlich hast du mal ein vernünftiges Weib im Schlepptau. Nicht immer dieses Jungfleisch.” „Das ist Frau Steinmann, meine Kollegin”, stellte Pankok seine Chefin vor. „Das hätte ich jetzt auch gesagt”, meinte Herbert. „Aber ich bleib dabei! Die hat was!” Die Kriminalhauptkommissarin holte tief Luft und sagte: „Wir sind hier doch nicht auf einer öffentlichen Fleischbeschau!” „Da würde ich für Sie bieten!”, meinte Herbert. „Mindestens einen ganzen Tagesverdienst. Brutto sogar.” „Der ist immer so”, zügelte Pankok das Gespräch. Mittlerweile standen zwei Portionen Curry-Wurst und zweimal Pommes-Schranke vor den beiden. „Jetzt weiß ich endlich, was Pommes-Schranke bedeutet: mit Ketchup und Mayo”, meinte Steinmann. „Mannomann, die Curry-Wurst ist einsame Spitze. Wie viel wollten Sie noch für mich bieten?” „Lass mal Mädchen, aus dem Alter bin ich raus”, entgegnete Herbert. Punkt 18.00 Uhr klingelte es an der Wohnungstür von Heiner Pankok. Lena Steinmann stand dort und bewirkte bei ihrem Assistenten wegen ihrer Kleidung einen Schluckauf. „Wow!”, dachte er, „was hat die vor?” Sie betrat die Wohnung und sagte nun ihrerseits: „Wow! Wie viele Quadratmeter sind denn das?” „170 plus Terrasse”, war die Antwort. „Und die bewohnen Sie allein?” „Ja.” „Und Sie verlaufen sich nicht?” „Unter normalen Umständen nicht. Und bevor Sie denken: ′Die Miete kann der doch gar nicht bezahlen′, sage ich Ihnen sofort die Wahrheit: Diese Wohnung gehört mir. Ich habe Ihnen doch von der Sammelleidenschaft meines Vaters erzählt. Nun, Kinder – und ich bin Einzelkind – profitieren manchmal von den Leidenschaften ihrer Eltern. Auf Deutsch: Ich habe einen Teil seiner Münzen verkauft und dafür diese Wohnung erstanden. Ein guter Tausch, finde ich.” „Ein wirklich guter Tausch, finde ich auch”, nickte sie zustimmend und inspizierte ungeniert die übrigen Räume. „Tun Sie so, als wären Sie hier zu Hause”, sagte er und sie erwiderte: „Bin schon dabei.” Sie kam bald zurück und erklärte ihm: „Erstens: Sie haben Geschmack. Zweitens: Sie haben viel Platz. Drittens: Sie scheinen, wenn ich mir das Badezimmer betrachte, auf weibliche Gäste oder Mitbewohner eingestellt zu sein. Wohl eher Mitbewohnerinnen, oder?” „Ich erinnere Sie an Pommes-Herbert und seine Meinung über meine gelegentlichen weiblichen Begleitungen. Und der Mann hat Menschenkenntnis. Er hielt nicht viel von denen.” „Man kann sich ja verbessern.” „Nach Herberts Meinung hab’ ich das schon.” „Aber sagen Sie mal: ein Whirlpool in dieser Höhe, wie bekommt man das hin?” „Mit Hilfe eines Krans, während der Bauphase.” „Ah! Und Sie baden also im Whirlpool?” „Nein, ich dusche. Allein im Whirlpool ist erstens langweilig und zweitens wäre das dekadent.” „Sie gehen also nur in weiblicher Begleitung in den Whirlpool?” „Allein habe ich dort Angst. Sie können mich ja begleiten und mir die Angst nehmen.” „Das hätten Sie wohl gerne, was?” „Offen gesagt: Ja! Warum nicht?” „Also Herr Pankok!” „Frau Steinmann?” Sie hatten die Wohnung verlassen und gerade die Terrasse betreten. „Sieh an, sieh an, ein gar nicht mal so kleiner Pool. Man gönnt sich ja sonst nichts, oder?” „Genau! Wenn man bescheiden lebt, dann bleibt am Monatsende noch etwas übrig.” „Bei mir nie. Dafür sorgen schon meine Töchter, Lara 17 und Lea 15.” „Ihr Mann hieß nicht zufällig Ludwig oder Leopold?” „Nein, Lennart, wieso?” Beide mussten lachen und fingen sich erst, als das Telefon klingelte. Pankok nahm ab, sah seine Kollegin an und sagte: „Für Sie, eine Ihrer Töchter.” Steinmann übernahm das Telefon und Pankok ging wieder auf die Terrasse. Nach fünf Minuten kehrte Frau Steinmann zurück. „Das war meine Tochter, die ältere. Sie hat ihren Hausschlüssel vergessen. Jetzt muss sie meinen Schlüssel holen, nach Hause zurückfahren – meine Töchter besitzen in der Tat Fahrräder – und sich ihren Schlüssel besorgen. Dann muss sie mir noch meinen Schlüssel wiederbringen.” „Ja, ja”, kommentierte Pankok, „wer’s nicht im Kopf hat, der hat’s in den Beinen. Aber woher hatte sie meine Telefonnummer?” „Von der Polizei. Sie hat angerufen, um zu erfahren, wo ich sei. Auf der Dienststelle wussten sie, dass wir heute noch zu arbeiten haben. Und zwar bei Ihnen. Aber warten Sie, bis die junge Dame hier ist. Die ist nämlich gar nicht auf den Kopf gefallen, sie ist manchmal unmöglich und furchtbar direkt.” „Dann fangen wir doch mal mit der Vorspeise an, Rösti oder Reibeplätzchen, ganz wie Sie wollen, mit Räucherlachs.” „Machen Sie die jetzt erst?” „Selbstverständlich! In der Wohnung würde es ziemlich streng riechen, deshalb bereite ich sie hier draußen zu. Da vorne – er deutete in eine Ecke der Terrasse – habe ich meine externe Küche für geruchsintensive Gerichte. Beweglich, auf Rollen und mit Gas betrieben. Außerdem müssen Reibeplätzchen immer frisch sein, richtig kross, wenn Sie verstehen.” Es klingelte wieder, diesmal an der Tür. Pankok ging hin, öffnete und sah eine jüngere Ausgabe von Lena Steinmann dort stehen.
Claude LeRouge Willkommen auf der Autorenhomepage  von
Leseprobe Gefrorenes Leben
Aber weshalb erzähle ich das alles? Denn jetzt, im Juni des Jahres 1990, war Habakuk tot. Ein hochbetagter 90-Jähriger war tot. „Das ist doch nichts Besonderes”, werden Sie sagen. „Mit 90 stirbt man eben.” Da haben Sie Recht. Habakuk aber, der 90-jährige Greis, war nicht einfach gestorben, er war ermordet worden. „Mit einem aufgesetzten Schuss in die Stirn”, wie Kriminalhauptkommissarin Steinmann mit leicht bayerischem Akzent feststellte. Sie war der Liebe wegen aus München nach Münster gezogen, hatte sich an Töttchen und Pfefferpotthast gewöhnt, war Mutter zweier nunmehr pubertierender Töchter geworden, ihres Mannes jedoch war sie verlustig. Zu ihrem Entsetzen hatte dieser sich mit einer Älteren verabschiedet. Die Frage, die Frau Hauptkommissarin Steinmann zu beantworten hatte, war: „Wer ermordet einen 90-Jährigen? Kann es für so eine Tat überhaupt einen Grund geben?” Aber niemand ermordet einen anderen ohne Grund. Höchstens ein Verrückter. Nun ist das Münsterland von alters her bekannt für Menschen mit dem zweiten Gesicht, für Spökenkieker und allerlei verschrobene Gestalten. Aber einen Lustmörder, der es auf 90-Jährige abgesehen hat, so etwas gab es nicht einmal hier. Und dann einen Photographen umzubringen, bei dem nichts zu holen war! Völliger Wahnsinn! Habakuk lag vor seiner Tür zum Garten, lang ausgestreckt auf der Terrasse, die Tür stand offen. Ein älteres Ehepaar, das dort zufällig spazieren ging, hatte die Tür klappern gehört und war zunächst neugierig, dann geschockt. Schließlich sieht man ja nicht alle Tage einen leibhaftigen Toten, dazu noch einen Ermordeten. Die bundesrepublikanische Bevölkerung ist natürlich durch lehrreiche Sendungen wie „Tatort” bestens informiert, wie man sich in so einem Fall zu verhalten hat: 110 wählen und warten. Gut, dass das ältere Ehepaar eines dieser neuen, nur 500 Gramm schweren Handys besaß, sonst wäre das Ganze schwierig geworden. Das Ehepaar wartete, Kriminalhauptkommissarin Steinmann erschien nur wenige Minuten später in Begleitung ihres Assistenten Heiner Pankok. „Kommt Schimanski auch noch?”, wollte die Frau wissen. „Der löst doch immer solche Fälle.” „Elfriede, du guckst zu viel fern”, belehrte ihr Mann sie. „Schimanski gibt es doch gar nicht.” „Natürlich gibt es Schimanski, ich habe ihn schon ein paar Mal gesehen”, entgegnete seine Frau. Die Kommissarin verdrehte die Augen, der Assistent bekam unversehens einen Schluckauf. Frau Steinmann beendete das sich anbahnende Ehedrama, indem sie sagte: „Es wäre nett, wenn Sie Herrn Pankok Ihren Namen und Ihre Adresse mitteilen würden, damit wir Sie zur Not erreichen können. Außerdem sollten Sie ihm kurz schildern, wie Sie die Leiche gefunden haben. Wichtig fürs Protokoll!” „Schimanski macht nie ein Protokoll”, schob die Frau noch ein. Damit verließ Frau Steinmann ihren Assistenten und das Ehepaar und betrat das Haus. Sie stand vor einem Chaos, wie sie es noch nie gesehen hatte. Alles war durchwühlt, das Unterste nach oben gekehrt und umgekehrt. Vielleicht ein Raubmord? Aber was war hier zu holen? Bevor sie ihren Gedanken weiter verfolgen konnte, erschien ihr Assistent: „Der Mann glaubt jetzt auch, dass wir Schimanski heranziehen sollten.” „Spinnen die beiden?” „Nein, die haben zu viele Krimis gesehen!” „Gleich wird wohl die Presse hier auftauchen”, sagte Steinmann. „Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.” „Die Presse kommt nicht”, entgegnete Pankok. „Ich habe das Ehepaar gebeten, zu niemandem einen Ton zu sagen. Schimanski wolle sich zuerst ein eigenes Bild machen, bevor die Presse die Spuren zertritt.” „Pankok, Sie sind ein ...!” „Ein Genie, sagen Sie es ruhig!” Dann sah auch er sich um: „Donnerwetter! Hier hat sich jemand sehr geschmackvoll und sehr teuer eingerichtet. Das hätte ich bei einem Photographen nicht erwartet. Der alte Habakuk Puhvogel scheint doch Geld besessen zu haben.” „Der Meinung bin ich auch. Und was den Geschmack betrifft, da stimme ich ebenfalls mit Ihnen überein.” „Aber hier hat jemand eine Intensivsuche betrieben.” „Also doch ein Raubmord?”, fragte Steinmann. „Glaube ich nicht”, erwiderte Pankok. „Sehen Sie mal hier im Regal! Da steht eine Münzsammlung. Die hätte jeder Räuber doch wohl mitgehen lassen. Bei einem Raubmord wäre die verschwunden. So blind kann man gar nicht sein.” Er trat näher ans Regal und untersuchte die Alben: „Sehen Sie mal hier! Eins, zwei, drei, vier Alben. Alle voll mit Münzen. Nur Silber und Gold.” Dann war es eine Zeit lang ruhig. Schließlich fuhr er fort: „50 südafrikanische Krügerrand. Das ist ein Vermögen. Soviel verdiene ich im ganzen Jahr nicht. Sie übrigens auch nicht.” „Kennen Sie sich mit Münzen aus?” „Jein. Der Krügerrand ist allerdings eine allgemein bekannte Münze, die man bei jeder Bank kaufen kann. Also nichts Geheimnisvolles. Aber diese Münzen hier, vorne im Album, das sind Sammlerstücke. Vom Silbergehalt eigentlich ein geringer Wert. Das hier ist zum Beispiel eine altgriechische Tetra-Drachme. In diesem exzellenten Zustand kommen Sie mit einem Tausender nicht aus, wenn Sie sie kaufen wollen. Davon hatte er ein Dutzend. So etwas bewahrt man in einer Bank im Tresor auf, nicht zu Hause in einem Bücherregal. Was hier steht, geht in die Hunderttausende.” Kriminalhauptkommissarin Steinmann staunte. Soviel Wissen hatte sie von ihrem Assistenten nicht erwartet. Bis jetzt war er mehr als Dolmetscher zwischen gezügelter westfälischer Mundart und einem gemäßigten bayrischen Sprachverständnis in Erscheinung getreten. „Gut, Pankok, gut! Wenn Sie so weitermachen, nehmen Sie bald meine Position ein.” „Ach, lassen Sie mal. Das will ich gar nicht. Es gibt Wichtigeres zu tun.” „Richtig! Wir sollten die SPUSI hierhin beordern und den armen Habakuk in die Gerichtsmedizin bringen lassen.” „Und was ist mit Schimanski?” „Jetzt reicht’s aber wirklich! Woher haben Sie eigentlich ihre Kenntnisse über Münzen?” „Mein Vater war ein großer Sammler vor dem Herrn. Der hat alles gesammelt, was ihm vor die Füße, besser vor die Hände kam. Ganz zum Leidwesen meiner Mutter, die ihn irgendwann vor die Entscheidung gestellt hat, sich für eine einzige Art von Sammelgegenständen zu entscheiden. Andernfalls würde sie ausziehen. Er hat meine Mutter und die Münzen gewählt. Das ganze Zeug habe ich nun geerbt. Die minderwertigen Münzen habe ich verramscht, den Rest fein säuberlich in ebensolchen Alben gehortet.” „Dann sind Sie eine gute Partie?” „Machen Sie mir einen Heiratsantrag und ich verrate ihnen, was ich besitze.” „Pankok”, entgegnete sie sehr gedehnt, „wir sollten jetzt lieber mit dem Denken beginnen. So ein Fall löst sich nicht von alleine.” „Aber ich bin doch schon am Denken dran”, entgegnete ihr Assistent. „Was ist denn das für eine Zeitform?”, fragte sie ihn. „Westfälisches Gerundium. Daran müssen Sie sich gewöhnen, so redet hier jeder und ich als Eingeborener auch.” „Wirklich jeder?” „Zugereiste und sonstige nicht hier Geborene natürlich nicht.” „Und jetzt?”, fragte Steinmann. Pankok und Steinmann traten vor die Tür und Pankok zeigte auf einen Bauernhof, der etwa 200 Meter entfernt lag und von dem man noch so eben das Dach erkennen konnte. „Schulze Guntrup”, sagte er. „Der einzige Nachbar. Es kann sein, dass der etwas gehört hat.” Sie hatten Pech, denn der Bauer war auf einem Acker beschäftigt gewesen, der fast einen Kilometer vom Tatort entfernt war. Natürlich hatte er nichts gehört. Sie standen vor ihrer letzten Hoffnung, der Kreissparkasse. „Was, Habakuk ist tot? Stand ja noch gar nicht in der Zeitung. Ein großer Verlust!”, sagte der Direktor. „Wieso ein großer Verlust?”, fragte Steinmann. „Fragen Sie mal unseren großen Kunstvorsitzenden. Der kann Ihnen mehr erzählen.” „Aber hatte Herr Puhvogel bei Ihnen ein Konto?” „Selbstverständlich hatte er bei uns ein Konto”, erwiderte der Direktor. „Sie waren unsere letzte Hoffnung”, sagte Lena Steinmann. „Wir waren schon am Verzweifeln. Alle kannten Habakuk Puhvogel, aber er hatte bei keiner der anderen Banken ein Konto. Wir bräuchten jetzt einmal alle Kontounterlagen, damit wir uns ein Bild über seine finanzielle Situation machen können.” „Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, hole ich die Unterlagen.” Er entfernte sich und drei Minuten später erschien seine Sekretärin mit Kaffee und Gebäck, weitere drei Minuten später der Direktor mit den Unterlagen. „Sehen Sie hier!”, begann er. „Auf dem Konto hat er zurzeit etwas über 3.000 DM.” „Woher kommt dieses Geld?”, fragte Steinmann. „Jeden Monat bekam er 1.500 DM aus der Alterskasse für Künstler. Das ist ungewöhnlich viel. Er muss eine Menge eingezahlt haben, denn ich kenne hier noch einen Künstler, der keine 700 DM erhält.” „Hatte er sonst noch Bezugsquellen?”, fragte Pankok. „Das kann man wohl sagen. Es gibt da in Münster eine kleine, aber sehr feine Privatbank. Von dort bekam er in unregelmäßigen Abständen Überweisungen.” „Hohe?”, fragte Pankok. „Das kann man wohl sagen”, erwiderte der Direktor. „Mal 5.000, mal 10.000, einmal, daran erinnere ich mich ganz genau, sogar 30.000 DM. Habakuk war wohlhabend, sehr wohlhabend.” „Das wusste aber keiner hier”, schob Pankok ein. „Das war ja auch ein Bankgeheimnis”, klärte der Direktor auf. „Woher kam denn das ganze Geld?”, wollte Steinmann wissen. „Das weiß ich nicht, da müssten Sie schon nach Münster fahren in diese...” „…kleine, aber feine Privatbank”, ergänzte Pankok. „Genau. Aber zunächst sollten Sie unseren großen Kunstversteher aufsuchen. Der kann Ihnen bestimmt mehr erzählen. Alles, was ich weiß, habe ich Ihnen gesagt.” Steinmann und Pankok verließen die Sparkasse und glaubten, etwas klüger geworden zu sein. „Wir müssen also jetzt den großen Kunstzampano aufsuchen und dann zur kleinen, aber feinen Privatbank nach Münster”, erklärte die Kriminalhauptkommissarin. „Sehen Sie mal auf die Uhr!”, sagte Pankok. „St. Martinus sagt: Es ist 12 Uhr. Mittagszeit also und da können wir den großen Kunstkenner nicht stören. Wir sollten den Besuch etwas verschieben, so bis 14 Uhr, wegen des Mittagsschlafs. Und bei der Bank sollten wir vorher anrufen. Dort müssten wir schon mit dem Chef sprechen und der sollte anwesend sein, wenn wir kommen. Ich ruf‘ da heute Nachmittag mal an. Und jetzt sollten wir etwas essen, damit der Magen nicht so durchhängt. Was halten Sie von Curry-Wurst mit Pommes frites?” „Wo denn?” „Zwei Minuten von hier. Ach was, 30 Sekunden nur. Bei Herbert.” „Da war ich noch nie, doch den Namen kenne ich von meinen Töchtern. Die sind immer begeistert davon.” „Mit Recht! Dort gibt es die beste Curry-Wurst westlich des Urals und östlich von Lissabon.” „Jetzt übertreiben Sie!” „Überhaupt nicht! Herbert ist Kult. Während der Fußballweltmeisterschaft verkaufte der Typ 1.000 Curry-Würste pro Nacht. Da kommen Jugendliche aus Münster, Telgte, Ibbenbüren, selbst einige aus Emsdetten.” Noch 100 Meter und Pankok bestellte zweimal Curry-Wurst mit Pommes frites. „Mann, Heiner”, begrüßte ihn Pommes-Herbert, „endlich hast du mal ein vernünftiges Weib im Schlepptau. Nicht immer dieses Jungfleisch.” „Das ist Frau Steinmann, meine Kollegin”, stellte Pankok seine Chefin vor. „Das hätte ich jetzt auch gesagt”, meinte Herbert. „Aber ich bleib dabei! Die hat was!” Die Kriminalhauptkommissarin holte tief Luft und sagte: „Wir sind hier doch nicht auf einer öffentlichen Fleischbeschau!” „Da würde ich für Sie bieten!”, meinte Herbert. „Mindestens einen ganzen Tagesverdienst. Brutto sogar.” „Der ist immer so”, zügelte Pankok das Gespräch. Mittlerweile standen zwei Portionen Curry-Wurst und zweimal Pommes-Schranke vor den beiden. „Jetzt weiß ich endlich, was Pommes-Schranke bedeutet: mit Ketchup und Mayo”, meinte Steinmann. „Mannomann, die Curry-Wurst ist einsame Spitze. Wie viel wollten Sie noch für mich bieten?” „Lass mal Mädchen, aus dem Alter bin ich raus”, entgegnete Herbert. Punkt 18.00 Uhr klingelte es an der Wohnungstür von Heiner Pankok. Lena Steinmann stand dort und bewirkte bei ihrem Assistenten wegen ihrer Kleidung einen Schluckauf. „Wow!”, dachte er, „was hat die vor?” Sie betrat die Wohnung und sagte nun ihrerseits: „Wow! Wie viele Quadratmeter sind denn das?” „170 plus Terrasse”, war die Antwort. „Und die bewohnen Sie allein?” „Ja.” „Und Sie verlaufen sich nicht?” „Unter normalen Umständen nicht. Und bevor Sie denken: ′Die Miete kann der doch gar nicht bezahlen′, sage ich Ihnen sofort die Wahrheit: Diese Wohnung gehört mir. Ich habe Ihnen doch von der Sammelleidenschaft meines Vaters erzählt. Nun, Kinder – und ich bin Einzelkind – profitieren manchmal von den Leidenschaften ihrer Eltern. Auf Deutsch: Ich habe einen Teil seiner Münzen verkauft und dafür diese Wohnung erstanden. Ein guter Tausch, finde ich.” „Ein wirklich guter Tausch, finde ich auch”, nickte sie zustimmend und inspizierte ungeniert die übrigen Räume. „Tun Sie so, als wären Sie hier zu Hause”, sagte er und sie erwiderte: „Bin schon dabei.” Sie kam bald zurück und erklärte ihm: „Erstens: Sie haben Geschmack. Zweitens: Sie haben viel Platz. Drittens: Sie scheinen, wenn ich mir das Badezimmer betrachte, auf weibliche Gäste oder Mitbewohner eingestellt zu sein. Wohl eher Mitbewohnerinnen, oder?” „Ich erinnere Sie an Pommes-Herbert und seine Meinung über meine gelegentlichen weiblichen Begleitungen. Und der Mann hat Menschenkenntnis. Er hielt nicht viel von denen.” „Man kann sich ja verbessern.” „Nach Herberts Meinung hab’ ich das schon.” „Aber sagen Sie mal: ein Whirlpool in dieser Höhe, wie bekommt man das hin?” „Mit Hilfe eines Krans, während der Bauphase.” „Ah! Und Sie baden also im Whirlpool?” „Nein, ich dusche. Allein im Whirlpool ist erstens langweilig und zweitens wäre das dekadent.” „Sie gehen also nur in weiblicher Begleitung in den Whirlpool?” „Allein habe ich dort Angst. Sie können mich ja begleiten und mir die Angst nehmen.” „Das hätten Sie wohl gerne, was?” „Offen gesagt: Ja! Warum nicht?” „Also Herr Pankok!” „Frau Steinmann?” Sie hatten die Wohnung verlassen und gerade die Terrasse betreten. „Sieh an, sieh an, ein gar nicht mal so kleiner Pool. Man gönnt sich ja sonst nichts, oder?” „Genau! Wenn man bescheiden lebt, dann bleibt am Monatsende noch etwas übrig.” „Bei mir nie. Dafür sorgen schon meine Töchter, Lara 17 und Lea 15.” „Ihr Mann hieß nicht zufällig Ludwig oder Leopold?” „Nein, Lennart, wieso?” Beide mussten lachen und fingen sich erst, als das Telefon klingelte. Pankok nahm ab, sah seine Kollegin an und sagte: „Für Sie, eine Ihrer Töchter.” Steinmann übernahm das Telefon und Pankok ging wieder auf die Terrasse. Nach fünf Minuten kehrte Frau Steinmann zurück. „Das war meine Tochter, die ältere. Sie hat ihren Hausschlüssel vergessen. Jetzt muss sie meinen Schlüssel holen, nach Hause zurückfahren – meine Töchter besitzen in der Tat Fahrräder – und sich ihren Schlüssel besorgen. Dann muss sie mir noch meinen Schlüssel wiederbringen.” „Ja, ja”, kommentierte Pankok, „wer’s nicht im Kopf hat, der hat’s in den Beinen. Aber woher hatte sie meine Telefonnummer?” „Von der Polizei. Sie hat angerufen, um zu erfahren, wo ich sei. Auf der Dienststelle wussten sie, dass wir heute noch zu arbeiten haben. Und zwar bei Ihnen. Aber warten Sie, bis die junge Dame hier ist. Die ist nämlich gar nicht auf den Kopf gefallen, sie ist manchmal unmöglich und furchtbar direkt.” „Dann fangen wir doch mal mit der Vorspeise an, Rösti oder Reibeplätzchen, ganz wie Sie wollen, mit Räucherlachs.” „Machen Sie die jetzt erst?” „Selbstverständlich! In der Wohnung würde es ziemlich streng riechen, deshalb bereite ich sie hier draußen zu. Da vorne – er deutete in eine Ecke der Terrasse – habe ich meine externe Küche für geruchsintensive Gerichte. Beweglich, auf Rollen und mit Gas betrieben. Außerdem müssen Reibeplätzchen immer frisch sein, richtig kross, wenn Sie verstehen.” Es klingelte wieder, diesmal an der Tür. Pankok ging hin, öffnete und sah eine jüngere Ausgabe von Lena Steinmann dort stehen.
Claude LeRouge Willkommen auf der Autorenhomepage  von